Hänsel und Gretel als Schauspiel mit vier Liedern für das Klassenzimmer und kleine Bühnen! Als Engelbert Humperdincks Märchenoper Hänsel und Gretel am 23. Dezember 1893 in Weimar unter der Leitung von Richard Strauss uraufgeführt wurde, hatte das Werk bereits eine vielschichtige Entstehungsgeschichte hinter sich. Humperdincks jüngere Schwester Adelheid Wette (geb. 1858) hatte mit verschiedenen Gelegenheitsdichtungen schon als Jugendliche literarisches Interesse gezeigt. 1888 verfasste sie ein Märchenspiel namens Schneewittchen, zu dem ihr Bruder einige Lieder beisteuerte. Weitere gemeinsame Märchenprojekte, die in der Regel im familiären Umfeld aufgeführt wurden, folgten, ehe 1890 der erste Entwurf zu dem Märchenspiel Hänsel und Gretel entstand. Am 16. Mai desselben Jahres feierte Hermann Wette, Adelheids Mann, seinen 34. Geburtstag, wozu ihn die Gattin mit einer Aufführung ihres Hänsel und Gretel-Spiels überraschen wollte. Die Komposition der begleitenden Lieder sollte der Bruder übernehmen. Entsprechend schrieb Adelheid einen Monat vor der Aufführung nach Mainz, wo Engelbert Humperdinck unter anderem als Lektor für den Schott Verlag arbeitete, und bestellte bei ihrem "lieben, zuckersüßen Brüderchen…Engel-Bärtchen" ein "recht hübsches, volkstümliches" "Tanzlied", ein "Waldlied" (bzw. "Echolied"), ein "Schlummerlied" sowie ein "Kickericki-Lied". Die entsprechenden Verse fügte sie dem Brief bei, wobei sie „zum Scherze“ für das „Schlummerliedchen“ gleich auch eine selbsterfundene Melodie beisteuerte, nebst Rhythmusvorschlägen für das "Tanzlied". Humperdinck machte sich sofort an die Arbeit und spielte laut Kalendernotiz noch am 19. April das Ergebnis seinem Verlagschef Dr. Ludwig Strecker vor. Auf diese Weise entstanden die vier mit dieser Ausgabe erstmals in ihrer Urfassung editierten Lieder Brüderchen komm’ tanz’ mit mir, Wer ruft mir im Walde doch alles nach, In den Zweigen die Vögelein und Tirelireli! ‘s ist nicht mehr früh "für zwei Kinderstimmen mit Klavierbegleitung“ (siehe Manuskript1). In seinem Antwortbrief, dem er die saubere Abschrift der Lieder beilegte, schrieb Humperdinck: „Wie du siehst, sind die Melodien nicht zu hoch und habe ich bei ihnen deine Noten benutzt. Lass bald hören, wie dir die Liedchen gefallen. Das ‚Kickericki‘ kann übrigens auf einem Tone (Es) gesungen werden, statt auf den vier Accordtönen." Die Uraufführung des Liederspiels fand wie geplant im Familienkreis statt, wobei Wettes älteste Töchter die beiden Hauptrollen übernahmen. Vom innerfamiliären Erfolg beflügelt, entstand zunächst die Idee, das Liederspiel in ein Singspiel mit zahlreichen Musiknummern und gereimten Dialogen umzuarbeiten, wobei Hermann Wette an den Textentwürfen mitarbeitete. Bereits zu Weihnachten 1890 lag diese Singspiel-Fassung als Particell vor. Unter anderem Hugo Wolf riet dem Komponisten jedoch, das Singspiel in eine durchkomponierte Märchenoper zu erweitern, was Humperdinck in Form eines "Kinderstubenweihfestspiels" – wie er es ironisch nannte – unter anderem in den beiden nachfolgenden Sommern in Bayreuth in die Tat umsetzte. Das Tanzliedchen und der Morgenweckruf wurden in modifizierter Form schließlich auch in die Oper übernommen.
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