Johannes Brahms’ Kompositionen für ein Instrument und Klavier wurden bald nach ihrer Entstehung Teil des Standardrepertoires der Kammermusik. Während des Komponierens hatte Brahms konkrete Musiker als Interpreten im Kopf und erstellte in enger Zusammenarbeit mit diesen die jeweils endgültigen Fassungen. Wenn wir uns heute diesen Werken nähern, berücksichtigen wir aber meist weder die technischen und klanglichen Möglichkeiten der Instrumente, für die Brahms schrieb, noch die individuelle Spielpraxis der Musiker, welche die Kompositionen erstmalig zur Aufführung brachten – darunter auch Brahms selbst.
Die neuen Urtext-Ausgaben
Die vorliegenden bahnbrechenden, wissenschaftlich-kritischen Neuausgaben wurden von einem Team von Musikwissenschaftlern herausgegeben, die selbst auch Instrumentalisten sind. Sie bieten Musikern nicht nur einen verlässlichen musikalischen Text, der alle überlieferten Quellen berücksichtigt, sondern auch eine umfassende Betrachtung der Werke: Diese erfasst die Kompositionen in ihrem historischen Kontext und erhellt, was Brahms durch seine Notation zu vermitteln suchte.
Informative Einleitungen beschäftigen sich mit der Entstehungs-, Publikations- sowie Rezeptionsgeschichte der Werke. Ein Textabschnitt, der allen Bänden gemein ist, beleuchtet zum einen allgemeine Fragen der Aufführungspraxis und zum anderen Eigenheiten des Klavierspiels im späten 19. Jahrhundert in Brahms’ Umfeld. Eine weitere Passage, spezifisch konzipiert für jeden einzelnen Band, befasst sich mit stilistischen und technischen Aspekten des Violin-, Viola-, Violoncello- bzw. Klarinettenspiels jener Musiker, mit denen der Komponist eng zusammenarbeitete.
Neben einer vollständigen Liste der jeweiligen Quellen, einer Beschreibung der editorischen Vorgehensweise und einem Kritischen Kommentar enthält jeder Band detaillierte Hinweise zu spezifischen aufführungspraktischen Problemen der einzelnen Werke.
Den Violin- und Bratschenwerken liegt jeweils eine Urtextstimme bei, frei von herausgeberischen Zusätzen. Zusätzlich enthalten die Ausgaben jeweils eine Stimme mit Fingersätzen und Strichbezeichnungen. Diese Bezeichnungen basieren auf der gängigen Praxis von Joseph Joachim und seinen Kollegen, deren Spielkonventionen sich in den Editionen von Joachims Schülern Leopold Auer und Ossip Schnirlin sowie von Franz Kneisel aus Brahms’ Kreis widerspiegeln.
Eine ähnliche Herangehensweise wurde für die Violoncello-Sonaten verfolgt: Sie enthalten Aufführungsmarkierungen von Robert Hausmann, für den Brahms die F-Dur-Sonate schrieb, von Hugo Becker, mit dem Brahms eben dieses Werk spielte, und von Julius Klengel, der ebenfalls dem Brahms-Kreis angehörte.
Der neue Brahms-Zyklus von Bärenreiter ruft zwei bereits im frühen 20. Jahrhundert in Vergessenheit geratene Werke in Erinnerung, nämlich die Sonaten op. 120 in der großartigen Fassung für Violine und Klavier von Brahms, die der Komponist ursprünglich für Klarinette oder Viola und Klavier schrieb. In dieser Fassung passte Brahms nicht einfach die Violinstimme an, er nahm auch Änderungen in der Klavierstimme vor, die wiederum interessante Rückschlüsse auf die Fassungen für Klarinette oder Viola zulassen bzw. Fragen aufwerfen.
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